Eine Messe als Ohrwurm
Wolfratshausen – Es sind erschwerte Umstände, unter denen am Sonntag in der Stadtpfarrkirche St. Andreas eine Welturaufführung stattfinden soll, aber sie findet statt. Am 1. Adventssonntag, 28. November, erklingt ab 18 Uhr die „Missa Sancti Andreae“ aus der Feder des in Bautzen lebenden Komponisten Felix Bräuer. Anlass ist das Patrozinium des Heiligen Andreas. „Das ist offiziell erst am Dienstag, aber wir haben die Aufführung vorgezogen“, erklärt Kirchenmusiker Mark Ehlert.
Angst vor atonaler Musik muss niemand haben. „Die Messe ist modern, aber überhaupt nicht schräg“, findet Ehlert. Im Gegenteil: Sie hat das Zeug zum Ohrwurm. Es würde ihn nicht wundern, wenn Besucher später einige Stellen auf den Straßen von Wolfratshausen vor sich hinpfeifen. Es singt ein Vokalensemble des Kirchenchores, das Tenorsolo übernimmt Florian Firlus. Dazu kommen ein Streichquintett sowie Bläser der Stadtkapelle Wolfratshausen.
Bräuer und Ehlert kennen sich schon lange. „Wir haben uns im Paderborner Dom kennengelernt, nach einem Chortag des Erzbistums“, erzählt er. Ehlert ist gebürtiger Sauerländer, Bräuer war zum damaligen Zeitpunkt Assistent des dortigen Domkapellmeisters. Die Verbindung hielt. Mit der Messe hat Bräuer jetzt ein eigenes Stück für die Loisachstadt komponiert, passend für die musikalische Besetzung.
Einige werden sich erinnern, dass St. Andreas vor zwei Jahren schon Schauplatz einer Uraufführung des sächsischen Komponisten gewesen ist. „Der Herr bricht ein um Mitternacht“, lautete der Titel des Oratoriums. Das Stück handelt von der Apokalypse, dem schaurig-tröstlichen Ende der Welt und der Wiederankunft des Herrn. Der Erfolg war groß, es gab stehende Ovationen. Jetzt geht es um den Heiligen Andreas, Bruder von Petrus, ebenfalls Apostel, der laut Legende an einem Kreuz mit schrägen Balken zu Tode gemartert wurde – daher der Ausdruck Andreaskreuz. Als sein Todestag gilt der 30. November.
Der Komponist selbst bedauert, bei der Welturaufführung seines Werks am Sonntag nicht vor Ort sein zu können. Er hat eine Verpflichtung in Münster, wo er als Organist tätig ist. „Aber ich drücke allen sehr die Daumen, dass alles gut geht.“ Dass er diesmal dem Tenor einen so ausführlichen Part geschrieben hat, hat damit zu tun, dass bei „Der Herr bricht ein um Mitternacht“ nur Solos für Sopran und Bass vorgesehen waren. „Da habe ich mir gedacht: Diesmal schreibe ich etwas für den Tenor, damit der sich richtig austoben kann“, erzählt er mit einem Augenzwinkern.
Wie genau die Aufführung abläuft, ist noch unklar. Es gilt für Besucher mit hoher Wahrscheinlichkeit die 2G-Plus Regel. „Wenn sich etwas ändert, wird dies beim Gottesdienst am Samstag mitgeteilt und auf der Homepage der Stadtkirche kommuniziert“, so Ehlert. Um eine Spende für die Kirchenmusik wird gebeten. vu
Pop, Pomp und Poesie
Wolfratshausen – So eine Uraufführung hat schon ordentlich Wumms. Und wenn schon, dann schon Welturaufführung, quasi konzertanter Urknall. Felix Bräuer, der bereits vor zwei Jahren mit dem apokalyptischen Oratorium „Der Herr bricht ein um Mitternacht“ in der Wolfratshauser Stadtpfarrkirche auffällig geworden war, kam am ersten Adventssonntag in St. Andreas erneut zu Gehör, wenn auch nicht selber vorbei. Verpflichtungen in Münster, wie es hieß.
„Missa Sancti Andreae“ hatte der in Bautzen lebende Komponist und Organist für das Wolfratshauser Gotteshaus geschrieben. Anlass war das Patrozinium des Schutzheiligen Andreas. Dieser Bruder von Petrus, ebenfalls Apostel, wurde der Legende nach an einem Kreuz mit schrägen Balken zu Tode gemartert – daher rührt übrigens der Ausdruck Andreaskreuz. Als sein Todestag gilt der 30. November. Der ist offiziell zwar erst an diesem Dienstag, aber das Stück unter der Woche vor leeren Kirchenbänken aufzuführen, wäre nicht so toll gewesen.
So aber war die heilige Halle an diesem frühen Sonntagabend gut besucht. Felix Bräuers Opus, dargeboten vom Vokalensemble des Kirchenchores plus Streichquintett und Bläsern der hiesigen Stadtkapelle, sollte in dieser Gottesdienststunde nicht zuletzt wegen der famosen Akustik des Kirchenbaus seine glasklare Wucht entfalten. Unter der Leitung von Mark Ehlert, der zudem beherzt in die Orgeltasten griff, gelang ein virulentes Wechselspiel zwischen tänzerischer Leichtigkeit und beschwingter Aufbruchsstimmung, zwischen fulminanter Machtdemonstration und zerbrechlicher Verzagtheit. Und das tönte denn auch alles andere als abgehoben: Felix Bräuers „Missa Sancti Andreae“ kam in jedem Ton und Takt vorsätzlich-volksnah über die Brüstung der doppelstöckigen Empore, irgendwo angesiedelt zwischen Pop, Pomp und sakraler Poesie. Auch volksmusikalische Anleihen hatte der Komponist nicht gescheut, dazu gab es ein bisschen Bach-light. Florian Firlus empfahl sich zudem als sonores Sahnehäubchen dieser modern anmutenden Messe, setzte als Tenorsolist eigene, weil betörende Akzente. Chapeau!
Nun ließe sich hier auch einiges bekritteln. Etwa das mitunter sehr gefällige Ganze. Felix Bräuer, so scheint es, wollte mit seinem Werk für die Loisachstadt wohl niemanden wirklich verschrecken und setzte deshalb unbeirrt auf tradierte Hörgewohnheiten. Verpielt ja, verstörend nein. Und man darf ruhig mal die Diskussion führen, inwieweit Formschönheit (in der Komposition) und Perfektion (in der Darbietung) zeitgemäß sind, respektive sein sollen. „Die Messe ist modern, aber überhaupt nicht schräg“, hatte Mark Ehlert zuvor angekündigt. Keine Angst also, wir treiben es schon nicht zu doll, sollte das wohl heißen.
Andererseits: „Missa Sancti Andreae“ hinterließ beim Zuhörer ein beschwingtes wie beruhigendes Gefühl. Musik, die wärmt und Mut macht. Mach mal Grübel-Pause sozusagen: Man kann das auch einfach nur genießen. Die Gottesdienstbesucher jedenfalls verließen, so schien es, fröhlich und zuversichtlich gestimmt ihre Kirche. Mehr Wumms geht nicht. VOLKER CAMEHN